2010-09-13

Die Zukunft wird zweitklassig

[The Future is Rated “B”]
[Un futuro da serie “B”]

Meine ausufernde Fanpost hat mir etwas Seltsames klar gemacht: viele meiner Leser scheinen überzeugt das die Zukunft entweder wie Mad Max oder wie Waterworld aussieht. Wenn es nach ihnen geht gibt es keine anderen Optionen. Dazu kommt das einige Leute versucht haben, zu deuten welche der beiden es wird, indem sie mich dabei beobachten was ich tue. Ich lebe auf einem Boot, und das ist offenbar ein Hinweis, dass die Zukunft Waterworld-artig sein muss. Aber ich wurde auch dabei gesehen wie ich auf einem klapprigen alten Motorrad durch die Stadt fahre, und das wird als Zeichen gewertet, dass die Zukunft mehr wie in Mad Max wird.

Es betrübt mich das so wenige Leute den Film Blade Runner ansprechen, und noch trauriger ist, dass George Lucas THX 1138 oder Jean-Luc Godards Alphaville so gut wie nie erwähnt werden, denn genau diese Filme waren in vielerlei Hinsicht prophetisch hinsichtlich der Gegenwart, nicht nur der Zukunft. In THX 1138 zum Beispiel, leben die Leute in einer abgeschirmten, klimatisierten Umwelt, sind auf einer zwangsverordneten Diät psychoaktiver Drogen, ihre Partner werden ihnen von einem Computerprogramm zugewiesen und sie sehen Pornografie die ihnen direkt in ihr Wohnzimmer eingespielt wird, um sich dabei nach der Arbeit zu entspannen. Wenn sie sich weigern ihre Drogen zu nehmen werden sie von roboterartigen Polizisten mit elektrischen Viehtreibern misshandelt. Als einer von ihnen die Wildnis entflieht stellt sich heraus, dass die Polizei nicht das erforderliche Budget hat um ihn wieder einzufangen. Das mag 1971, als Lucas den Film drehte, ein bisschen exotisch und futuristisch geklungen haben, aber heute beschreibt es die Menschen die um die Ecke wohnen. Alphaville hingegen erinnert mich grob an die interessanteren meiner Geschäftsreisen.

Die Menschen scheint die Idee zu beunruhigen, dass Fiktion die Gegenwart vorhersagen kann, denn die Gegenwart sollte real, nicht fiktiv sein. Bei der Zukunft hingegen ist das ok, weil sie fiktiv sein soll. Denn, sehen Sie, jeder weiß, dass die Zukunft unvorhersehbar ist. Die Künstler dürfen sie in beliebigen Farben ausmalen, während die etwas rationaler Denkenden versuchen, verschiedene Szenarien zu formulieren. Es wäre sinnlos zu versuchen ihnen zu erklären, dass es wohl nur ein einziges, dazu noch ziemlich mieses Szenario gibt, das offenbar von einem inkompetenten Schreibling verfasst wurde, es aber dennoch höchste Zeit wird sich um eine Rolle darin zu bewerben anstatt lauthals Alternativen zu diskutieren die keine Rolle spielen. Zur Beruhigung all jener die glauben die Zukunft wäre fiktiv, während die Gegenwart real ist, lassen Sie mich sagen das die Gegenwart zum größten Teil ebenso fiktiv ist. Hier ist ein perfektes Beispiel: Erinnern Sie sich an die tapferen Freiheitskämpfer die die fremden Invasoren aus ihrem heiligen Land warfen - die Mujaheddin? Was glauben Sie ist aus denen geworden? Nun, sie wurden umbenannt in Taliban und sind jetzt die Bösen. Dieselben paschtunischen Stammesangehörigen (oder deren Söhne) bewaffnet mit denselben AK-47 führen dieselben Missionen gegen seltsam gleichartige, ungläubige Invasoren aus. Doch eine einfache Umbenennung machte aus tapferen Kriegern, feige Fanatiker.

Die Leute dessen Job es ist die Fiktion zu formulieren die wir als unsere reale und einzig wahre Gegenwart akzeptieren sollen, scheinen selbst kaum Phantasie zu besitzen. Sie scheinen außerdem über eine ziemlich kurze Leseliste zu verfügen, da sie ihre Ideen offenbar nur aus einer Handvoll dünner Bücher beziehen. George Orwells 1984 und Aldous Huxleys Brave New World sind ihre besonderen Favoriten, sowie auch Franz Kafkas Der Prozess. Nehmen wir zu Beispiel den Kult um Osama Bin Laden als das böse Genie hinter dem 11. September: es ist ein Bild des ewigen Staatsfeindes direkt entlehnt aus Orwells Welt. Osama war ein kränklicher CIA Agent der schon vor langer Zeit einem Nierenleiden erlag und postum mit ein paar verrauschten Amateurvideos und dumpfen Tonaufnahmen von anderen CIA Agenten, als Dämon wiederaufstand. Seit Jahren schon wird Osamas einsamer und ruheloser Geist, gehüllt in weißen Roben und eine kaputte Dialysemaschine über die schroffen Bergpässe Wasiristans hinter sich herziehend, gnadenlos gejagt, von Schwärmen endlos kreisender Predator Drohnen. Der Afghanistankrieg kostet die USA eine Milliarde Dollar pro Tag. Es tut mir leid dass ich noch einen weiteren, zweitklassigen Film erwähne, aber wie viel haben die Ghostbusters nochmal für einen einfachen Auftrag berechnet?

Ich habe keine Lust diese Themen zu debattieren, und ich würde Ihnen empfehlen ebenfalls davon Abstand zu nehmen. Es gibt nur wenige Leute die genug darüber wissen, und jene wünschen im Allgemeinen, ebenfalls nicht darüber zu sprechen. Es bringt ihnen nichts – oder irgendjemandem. So ziemlich alle anderen genießen den Segen der Ignoranz oder wurden Opfer eines Gedankenkontrollmechanismus aus der Werbeindustrie: Beweis durch Wiederholung. Hier ist ein zeitgenössisches Beispiel eines fiktiven Phänomens der 9/11 Saison 2010 bekannt als „Die Moschee am Ground Zero“. Das Fünkchen Wahrheit hinter dieser, größtenteils fiktiven Story, ist ein geplantes Islamisches Kulturzentrum, keine Moschee; welches nicht einmal in der Nähe von Ground Zero gebaut werden soll. Aber wir leben mittlerweile in einer Welt der aufgezwungenen Fiktion, verstärkt durch stete Wiederholung in der Echokammer der Medien, welche die Wahrheit irrelevant machen. Sobald die Medien anfangen derart zu schimpfen und zu zetern wird es schwer für sie wieder aufzuhören, und als Nächstes tischen sie uns einen obskuren evangelischen Pastor
aus Florida auf, der einen Stapel Korane verbrennen will, und sie können ums verrecken nicht aufhören über ihn zu reden. Wenn im Gegenzug gewaltsame Proteste in bereits gewaltsamen Gegenden ausbrechen in denen US Soldaten patrouillieren gibt das der, ohnehin schon großartigen Story, nur noch etwas mehr Würze. Ich hoffe sie erkennen hier das Muster; Zuerst wird eine Nation ein bisschen senil, dann offensichtlich dement, dann komplett durchgedreht nacktherum-rennend-sich-mit-eigenen-Fäkalien-einschmierend wahnsinnig. Danach schadet sie sich selbst. Individueller Wahnsinn ist selten, aber Gruppenwahn ist leider der Fluch einer jeden Gesellschaft im Endstadium.

Es scheint als müssten beliebte Autoren eine bestimmten Typs, um ihre schlimmsten Alpträume wahr werden zu lassen, nichts weiter tun als sie als Novelle zu veröffentlichen. Es hat jedenfalls für Orwell, Huxley und Kafka funktioniert. Aber es gibt noch eine andere Möglichkeit: entwerfen sie ihre eigene Fiktion anstatt die eines anderen zu akzeptieren, und dann lassen sie sie Realität werden. Ein guter erster Schritt könnte es sein, eine Kurzgeschichte zu schreiben. Sie kann sehr kurz und muss nicht einmal besonders interessant sein. Etwas Simples so wie das hier könnte für den Anfänger reichen: „Am nächsten Morgen wachte Sie auf, und anstatt eines Brötchens mit Frischkäse und einer Tasse Kaffee zum Frühstück zu essen, fastete Sie bis zum Abend.“ Und dann, als sie am nächsten Tag aufwachte, passierte etwas Seltsames: Diese Kurzgeschichte wurde Wirklichkeit und es geschah genauso. Es folgten andere Geschichten, jede etwas länger als
die Vorhergehende, die Zukunft mit der Vergangenheit auf neue Art verbindend, überspannten sie irgendwann Dekaden. Und während diese Dekaden vergingen wurden die Geschichten Wirklichkeit.

Dies ist, meiner Meinung nach, zukünftig der beste Weg, in einem deprimierten, zunehmend
wahnsinnigen und Katastrophen gefährdeten Land, das kurz vor dem Kollaps steht und wo die Gegenwart (die Realität; was die Menschen glauben was passiert; eine allgemeine Vorstellung der Lage der Dinge) sich in nutzloses Rauschen verwandelt – das Geschrei ahnungsloser aber selbstsüchtiger Menschen, die verzweifelt darum betteln das du ihnen weiterhin Gehör schenkst, damit sie deinen Kopf weiterhin mit zweitklassigen Müll füllen können. Aber wenn man sie lange genug ignoriert werden sie irgendwann verschwinden. Hoffen Sie nicht, glauben Sie nicht und träumen Sie nicht, sondern schreiben sie ihre eigene Fiktion und nutzen Sie sie um eine Gegenwart/Realität zu schaffen die ihnen passt. Erfinden Sie in ihren Geschichten Orte, für sie selbst und für jene die ihnen etwas bedeuten. Sie müssen sich nicht an den zweitklassigen Unsinn anderer klammern. Und lassen Sie sich von niemandem sagen, dass sie verrückt sind oder in einer Traumwelt leben. Es ist kein Traum verdammt, es ist Fiktion!